Mehr Zeit für das Wesentliche – Familienleben in Neuseeland
Christine Wanke hat in Deutschland einen guten Stand im Pharmaziebereich, auch ihr Mann ist erfolgreich selbständig. Doch lange Arbeitsstunden und wenig Zeit für ihre beiden Töchter Ulrike (10) und Nicole (7) lassen das Paar händeringend nach Auswegen für eine entspannte Zukunft für ihre Familie suchen. Eine Auswandersendung im Fernsehen bringt die beiden auf die fixe Idee, selbst woanders noch einmal anzufangen – ein Abenteuer beginnt…
„So wie bisher wollten wir nicht weiter machen, soviel war uns klar. Doch was tun?“ Diese Frage stellten sich Christine und Thomas Wanke immer wieder. Das Paar war voll und ganz in Anspruch genommen vom deutschen Arbeitsleben. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Mühle des deutschen Alltags, der Bürokratie und der unerträglich gewordenen Arbeitsstunden als Geschäftsführerin in einer Apotheke und Thomas’ Job als Buchhalter für das Unternehmen, entstand die Idee, einfach auszuwandern. „Warum verkaufen wir nicht alles und leben einfach woanders?“, fragt sich die Familie und beginnt, sich mit den Auswahlkriterien für ihre neue Heimat zu befassen: „Unsere Zukunft sollte in einem englischsprachigen Land liegen, auf keinen Fall in einer Krisenregion, wenn möglich, ein wärmeres Klima als in Deutschland und giftige Tiere fanden wir auch nicht so prickelnd“, erinnert sich Thomas Wanke an die ersten Schritte, welche die Familie in ihrer alten Heimat Schwäbisch Hall bei Stuttgart unternahm. „Beim Blick auf den Globus blieb dann gar nicht so viel übrig. Mehr durch Zufall entdeckte ich den kleinen Schnipsel unter Australien – Neuseeland.“
Traumziel gefunden – und jetzt?
Je intensiver das Paar recherchierte, umso begeisterter und interessierter waren die Eltern von der Idee, nach Neuseeland umzuziehen. „2009 waren wir dann mit den Kindern für vier Wochen in Neuseeland im Urlaub und haben uns absolut in das Land verliebt. Ganz besonders schön fanden wir die Nelson-Tasman Region.“ Zurück in Deutschland begann nun eine Welle an Vorbereitungen, um die Idee in die Realität umzusetzen. Das Paar nahm Kontakt zu Peter Hahn auf, um sich beraten zu lassen, wie und ob eine Auswanderung nach Neuseeland für sie in Frage kam. Gleichzeitig bemühte man sich um den Geschäftsverkauf, das Eigenheim sollte auf den Immobilienmarkt kommen, Autos mussten verkauft werden. Doch neben den organisatorischen Dingen, standen zwei emotionalere Aspekte ganz vorne. „Das schwierigste war eigentlich, unseren beiden Töchtern zu erklären, was wir vorhatten. Und dann kam natürlich auch die Beichte an Familie und Freunde, dass wir Deutschland den Rücken kehren wollten. Das war nicht einfach!“
Ein holpriger Weg
Doch so ein Prozess dauert. Anstelle weniger Arbeit, häufte sich die Familie noch zusätzliche Bürden auf, immer mit dem Blick ans Ende des Tunnels gerichtet – nach Neuseeland. Peter Hahn erklärt der Familie, dass es im Gesundheitsbereich in Neuseeland schwierig würde, da Christine keine neuseeländische Ausbildung habe. Sie könne sich zwar als PTA einen Job suchen, aber die Anstellungschancen seien im Wettbewerb mit neuseeländischen Bewerbern nur sehr mäßig. Neben der Sprachbarriere und dem Fachjargon gäbe es auch gravierende Unterschiede zwischen den Ländern in der Zusammensetzung und der Verabreichung von Medikamenten. Auch die Rechtsprechung sei unterschiedlich. Es gäbe da aber die Möglichkeit über einen langen, recht kostspieligen Umweg – ein Studium zur neuseeländischen PTA, erwähnte Peter Hahn im Beratungsgespräch. Für die ausgebildete langjährige Apothekerin ein hartes Los, noch einmal als Studentin anzufangen. Und dazu kamen nicht nur die Studienzeit, sondern auch die Studiengebühren, die für Ausländer in Neuseeland besonders hoch liegen. Doch Christine Wanke entscheidet sich, den langwierigen teuren Umweg zu nehmen, um ihrer Familie den Traum von einem Leben in Neuseeland ermöglichen zu können.
Der gesamte Prozess in Deutschland zog sich für die schwäbische Familie jedoch noch bis 2012 hin. Selbst im Herbst 2011 stand der endgültige Abflugtermin der Wankes noch nicht hundertprozentig fest. „Meine Mutter wurde mit Krebs diagnostiziert und zu diesem Zeitpunkt wusste einfach keiner, wie es weitergeht. Die Flüge waren zwar gebucht und meine Einschreibung an der Akademie in Christchurch hatte geklappt aber was nun? Unsere Firma hatte auch schon einen Käufer. Die stressigen Wochen vor dem Abflug waren absolut nervenaufreibend für alle Beteiligten.“ Neben der Organisation der Visa, musste Christine bereits ihren Englisch-Test absolvieren, den Kindern und der Familie stand Thomas zur Seite. Ende Januar 2012 verlor Christines Mutter den Kampf gegen die Krankheit und starb, zwei Wochen vor dem Abflugtermin der Familie fand sich schließlich auf den letzten Drücker noch ein Käufer für ihr Eigenheim.
Das Abenteuer am Ende der Welt
Nur mit vier Koffern reisten die Wankes im Februar nach Neuseeland. „Wir verließen Deutschland mit Minusgeraden und Schnee. Als wir in Christchurch ankamen war strahlender Sonnenschein und Sommer. Das wärmte erst einmal unseren Geist und den Körper.“ Die Familie nahm ihren Mietwagen in Empfang und quartierte sich auf einem Campingplatz ein. Schon in der ersten Nacht als alle schliefen, rüttelte sie ein Nachbeben in Christchurch unsanft aus dem Schlaf. „Es war so heftig, dass wir fast aus den Betten fielen. Da habe ich mich wirklich gefragt ‚Was machen wir hier eigentlich?’ Am nächsten Tag kamen wir dann gleich in Kontakt mit unseren Nachbarn auf dem Platz. Ein freundliches älteres Paar, welches ursprünglich auch aus Deutschland stammte. Sie hatten dort ihr Hotel verkauft und waren dann zum Sohn nach Neuseeland gezogen. Das baute uns wieder auf!“, erinnert sich Thomas an die ersten Stunden in der neuen Heimat.
Bereits zwei Tage später kaufte die Familie in Ashburton beim Händler ihr erstes eigenes neuseeländisches Auto. „Der Verkäufer war einfach so herrlich unkompliziert und nett. Unsere neuseeländische EC-Karte hatte pro Transaktion ein Limit, das wussten wir jedoch nicht. Er musste deshalb zur Bezahlung die Karte zig-Mal in Kleinbeträgen durchziehen. Man, das Kiwi-Englisch war wirklich schwierig zu verstehen, das wurde uns jetzt das erste Mal klar. Dann war noch die Papierrolle durch und am Ende stellten wir auf unserem Konto fest, dass der Händler uns 1000 NZD zu viel abgezogen hatte. Voller Schrecken rief ich ihn an, doch er war ganz entspannt und meinte nur, ich solle doch vorbei kommen und das Geld abholen – no worries. Er hat noch nicht mal überprüft, ob es stimmte. Diese Art an den Kiwis hat uns sofort gefallen!“
Alltag in der neuen Heimat
Christine drückte mit einem Student Visa die Universitätsbank während die Töchter und ihr Mann nur mit einem Holiday Visum in Neuseeland lebten. Deshalb musste die deutsche Familie auch horrende Schulgebühren für die beiden Kinder bezahlen, da sie als internationale Schüler galten. „Das Geld war nur die eine Seite. Schon von der ersten Minute in der neuen Schule, waren Ulrike und Nicole umringt von ihren interessierten neuen Klassenkameraden und wurden extrem warm und herzlich aufgenommen.“ Die Schule bot sogar spezielle Förderprogramme für internationale Schüler an. Die größte Sorge der Eltern war das Wohl ihrer Kinder, wie würden sie mit der neuen Sprache und den neuen Umständen klar kommen? Diese Angst stellte sich jedoch schnell als unbegründet heraus: „Ulrike und Nicole kamen tatsächlich viel schneller hier an als wir“, erinnert sich Thomas Wanke lachend. „Nach etwa zwei Wochen kamen die ersten Sätze auf Englisch, nach zwei bis drei Monaten waren fließende Unterhaltungen auf Englisch möglich. Da war ich glatt neidisch, wie gut die zwei das meisterten!“
Auch Thomas Wanke fand schließlich Abwechslung im Alltag. Durch einen Zufall erfuhr er von einer Band, die einen Bassisten suchte – Musik, seine große Leidenschaft. Nach einem kurzen email-Kontakt wurde er zum Vorspielen eingeladen. „Ich war echt gespannt, wie das bei Kiwis so abläuft. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass die vier anderen Bandmitglieder aus England kamen. Ihr Proberaum war eine War-Memorial-Bücherei, die sich auf den 2. Weltkrieg spezialisiert hatte. Und da stand ich nun als Deutscher mit vier Engländern, es war abstrus. Aber nichts desto trotz, ich bekam die Stelle als Bassist und wir hatten richtig viel Spaß zusammen!“
Ende 2012 erfuhr Thomas Wanke, dass Deutsche nach einem Jahr ihren alten Führerschein gegen den neuseeländischen Schein tauschen müssen. Die Beraterin beim neuseeländischen ADAC, AA, erklärte Thomas, dass er mit einer Theorieprüfung die Klasse 5 machen könne und dann sogar wieder Trucks bis 45.000 Tonnen in Neuseeland fahren dürfe. Er besorgte sich alle Unterlagen lernte und absolvierte den Test mit Null Fehlern. Unterdessen begann es zu schneien, es wurde Winter in Aotearoa. „Die tristen Tage waren für mich ganz schwer“, erinnert sich Thomas Wanke zurück. „Ich hatte den totalen Durchhänger und war wirklich kurz davor, alles hin zu schmeißen und abzubrechen. Am gleichen Tag fuhr ich die Mädels zur Schule. Eine Lehrerin stand vor dem Gebäude und meinte, bei Schnee sei keine Schule, erst wieder nach dem Wochenende. Doch da war es erst Dienstag!“ Schmunzelnd und schon wieder besser gelaunt kutschierte der Familienvater seine jauchzenden Töchter mit dem Allradwagen wieder nach Hause.
In kleinen Schritten zum Ziel
Christine bestand ihre Prüfung zur PTA und fand sofort einen Arbeitsplatz. So bekam auch Thomas ein Partnerschafts-Work Visa, und die Kinder waren nun offiziell Neuseeländer auf Zeit, so dass die Schulgebühren für die Familie wegfielen. „Ich ging zwischendurch immer mal wieder zu den monatlichen Treffen der Newcomer. Das ist eine Organisation, die sich um die Neuankömmlinge in Christchurch kümmert und bei allem behilflich ist. Sie schrieben meinen Lebenslauf und die nette Dame kannte sogar eine Firma, die auf der Suche nach einem Fahrer war. Schon eine Woche später fuhr ich Trucks durch Christchurch“, berichtet Thomas Wanke von seinen ersten Schritten ins neuseeländische Berufsleben. Doch viele Teile der Hauptstadt Canterburys lagen noch in Trümmern von den Erdbeben. Überall gab es Ruinen, Straßen waren gesperrt, Häuser wurden abgerissen und der Lärm von hydraulischen Presslufthammern tönte durch die Häuserschluchten in den sich die Touristen drängten. „Das mag sich anhören, wie ein Szenario aus der Nachkriegszeit aber wir fanden nach und nach immer mehr schöne Plätze in Christchurch und Umgebung, die vom Beben verschont geblieben waren. Wir verstanden auf einmal, warum so viele Bürger in ihrer Stadt bleiben wollten – weil sie ihr Zuhause liebten!“
Mit dem Work Visa und der neuseeländischen Berufsqualifikation konnte Peter Hahn der Familie schließlich zur Residency verhelfen. Und nun wollten sich die Wankes auch ihren eigentlichen Traum verwirklichen und in Richtung Nelson umziehen. Sie kündigen wieder alles und packen erneut ihre Koffer.
Doch bevor sie sich in das nächste Abenteuer stürzen, und um sich ein wenig vom Stress zu erholen, legen sie erst einmal eine Reise nach Australien ein. Im Urlaub kommt es immer wieder zu Gesprächen mit Australiern. „Es war komisch, nur ganz wenige verstanden es, warum wir Neuseeland als neue Heimat auserkoren hatten. ‚Warum nicht hier im wärmeren Australien?’, fragten viele verständnislos. Das war das erste Mal, dass ich Heimweh hatte“, erinnert sich Thomas Wanke. Doch es war kein Heimweh nach Deutschland, sondern nach der neuen Heimat, nach Neuseeland.
Den Traum leben
Zurück in Nelson mietete sich Familie Wanke ein wunderschönes Häuschen mit traumhaftem Meerblick. Das Leben und neue Freundschaften, der Schulbesuch für die Kinder und viele Dinge des Alltags mussten erneut organisiert werden. Mutter Christine bereitete sich unterdessen erneut auf ihren Englischtest vor, da dieser für den Pharmazietest nicht älter als zwei Jahre sein durfte. Thomas hörte über eine Leiharbeiterfirma von einem Job in einer Wäscherei, bewarb sich und wurde angestellt. Schon nach einem Monat konnte er dort den Job wechseln und als Fahrer anfangen. „Hier gibt es keine verstopften Straßen. Ich fuhr regelmäßig von Nelson nach Blenheim und Picton. Die Küstenstrecke liegt in weiten Teilen am Meer und führt entlang der Bergrücken und –täler der Sounds. Dort gibt es ganz wenig Verkehr, es war traumhaft schön!“
Christine bestand schließlich ihre Prüfung und musste nun einen Praktikumsplatz finden. In Nelson und Umgebung war jedoch nirgendwo eine Position frei. Schweren Herzens bewarb sie sich überall auf der Nordinsel in Apotheken, die ausbilden dürfen. Eine Pharmazie in Napier bot ihr schließlich einen Platz an und nach langem Überlegen entschieden die Eltern, sich für die nächsten neun Monate aufzuteilen, Christine ging alleine nach Napier, Thomas blieb mit den Töchtern in Nelson. „Wir wollten nicht, dass Ulrike und Nicole noch einmal die Schule wechseln mussten. So kündigte ich meinen Job wieder und kümmerte mich um Haus und Kinder.“
Das perfekte Glück
Die Entscheidung stellte sich als richtig heraus, denn nur drei Monate später bekommt die Familie einen Anruf aus Mapua. Ein Apotheker versuchte, Christine zu kontaktieren. Nachdem Thomas die Handynummer seiner Frau weitergeleitet hatte, bekommt er kurze Zeit später erneut einen Anruf. Es ist seine Frau, die ganz aufgeregt ist. „Sie hat mir total aufgedreht erzählt, dass sie gerade ein Jobangebot aus Mapua bekommen und zugesagt hat.“ Christine Wanke kehrt so nach nur einem Vierteljahr zurück nach Nelson zu ihrer Familie und beginnt die neue Arbeitsstelle in Mapua, einem Örtchen, das nur rund 30 Minuten vom Wohnort entfernt liegt.
Thomas findet wieder eine Band und macht als Ausgleich regelmäßig Musik. Auch Ulrike (14) und Nicole (11) haben sich gut eingelebt, neue Freunde gefunden und stehen nun akademisch mit an der Spitze ihrer Klassen. Mit dem Wechsel in eine andere Band spielt Thomas nun sogar mehrere bezahlte Auftritte auf der Südinsel, wie in Christchurch oder an der Westküste. Nachdem Christine zurückgezogen ist, nimmt er zwei Teilzeitjobs an und verdient nun wieder Geld dazu. Nach ihrem abgeschlossenen Pharmaziestudium und der Zulassung als neuseeländische Apothekerin kann Christine jetzt sogar in ihrer Pharmazie in Mapua auf selbständiger Basis weiter arbeiten.
Zukunftsträumereien
Eltern und Kinder fühlen sich nach fast vier Jahren immer noch pudelwohl in ihrer neuen Heimat. Sie haben sich getraut und geschafft, wovon viele Deutsche träumen. „Dieses Jahr konnten wir uns dann endlich auch unseren Wunsch vom eigenen Häuschen mit Meerblick erfüllen. Idealerweise arbeiten dann Christine und ich beide nur halbtags, um genügend Zeit zu haben, Neuseeland, das Meer und unsere Kinder in vollen Zügen genießen zu können!“, freut sich Thomas glücklich. „Ohne ein finanzielles Polster hätten wir diese Sprünge der letzten Monate sicher nicht machen können – das ist auch klar!“ Und zu allem Glück bekommen sie noch einmal Familienzuwachs – pelzigen. Christine und Thomas haben sich entschieden, zwei ausgedienten Greyhounds von der Hunderennbahn das Leben zu retten, und sie bei sich aufzunehmen.
Neuseeland ist für Familie Wanke die Erfüllung ihres Traums von einer anderen Zukunft. Unzählige neue Eindrücke und viele spannende Begegnungen haben sie geprägt. „Das Land ist voll von faszinierenden Menschen und ebensolchen Geschichten hinter diesen Personen!“, resümiert die Familie. „Es ist wirklich jedermanns Sache, was er aus seinem Leben macht und wie er es gestaltet – wir für uns haben alles richtig gemacht und ich kann nur alle bestärken: Wo ein Wille, da ein Weg – die Türen stehen offen!“