Leidensdruck kontra Risiko
Neuseeland um jeden Preis
Karnapkes sind wahrlich eine Großfamilie, Vater Stefan, Sandra und vier Kinder im Alter von zweieinhalb bis sieben Jahren. Eigentlich sollte man meinen, dass sie mit dem Alltag alleine schon genügend Stress haben, doch das Leben in der Nähe von Bremerhaven wird ihnen nicht leicht gemacht. Der Leidensdruck der Kinder und der Eltern ist riesig, sie wollen einfach nur weg. Doch wohin? Mit dem Besuch einer Cousine aus Neuseeland kommt ihnen eine Idee…
Stressvolle Heimat
Stefan ist selbständig in Deutschland, betreibt eine Tauchfirma, die auf Unterwasserarbeiten spezialisiert ist. Zwölf lange Jahre schuftet der Workaholic und ärgert sich mit Kunden herum, die nicht bezahlen, muss seinen ehrlichen Verdienst in langjährigen Gerichtsprozessen einklagen. Auch als Vermieter eines Wohnhauses hat er zusätzlich Ärger am Hals. „Wenn wir in Deutschland geblieben wären, wär bei meinem Mann binnen zwei Jahren das Herzinfarktrisiko extrem gestiegen. Da war er sich ziemlich sicher damals“, erinnert sich Sandra Karnapke mit Stirnrunzeln. Dazu kam das beschwerliche Leben in einem Vorort von Bremerhaven, mit dem Sandra und die Kinder täglich zu kämpfen hatten. „Die meist älteren Einwohner hatten früher in der Fischindustrie gut verdient und waren uns gegenüber dementsprechend arrogant. Sie hielten sich einfach für etwas Besseres. In der Schule haben andere Kids Geld von meiner Tochter erpresst, ihr sogar Schläge angedroht. Selbst als deren Eltern das mitbekamen, geschah nichts. Es gab keine Entschuldigung“, erinnert sich Sandra. „Solche Erlebnisse machten das Loslösen aus der gewohnten Umgebung natürlich leichter, denn eigentlich wollte ich gar nicht weg.“
Ein Licht am Ende des Tunnels
Die Familie sucht verzweifelt einen Ausweg. Sandra sind Familie und Freunde jedoch extrem wichtig, Stefan kommt eigentlich aus Ostdeutschland. Zur gleichen Zeit kommt Stefans Cousine zu ihnen zu Besuch. Sie lebt in Neuseeland. Die Karnapkes hatten sie jedoch noch nie dort besucht. „Isa schwärmte uns drei Tage lang von Neuseeland vor. Und auf einmal schien die Lösung unserer Probleme ganz klar auf der Hand zu liegen – wir mussten dorthin.“
Die Umsetzung dieser fixen Idee setzte die Familie schnell in die Tat um. Zuerst informierten sie sich bei Einwanderungsberater Peter Hahn. Er rät ihnen, sich erst einmal vor Ort umzusehen, um Neuseeland kennen zu lernen. Stefan und Sandra möchten gleich Nägel mit Köpfen machen und engagieren eine Englischlehrerin, um neben dem Arbeitsleben die geforderte Prüfung zu bestehen. Ihr Level ist jedoch ziemlich unterschiedlich und so stellt sich der Englischkurs als schwierig heraus. „Stefan meinte, wenn wir erst einmal in Neuseeland sind, wird das mit dem Englisch sicherlich einfacher.“ Die Karnapkes wollen deshalb ihr Haus und das Tauchgeschäft verkaufen, buchen zur gleichen Zeit einen langen Urlaub im gelobten Neuseeland. „Wir wollten zunächst für ein Jahr bleiben. Nachdem die Einwanderung über Stefan nicht zu klappen schien, überlegten wir eben, mich als Hauptantragsteller zu nehmen. Also fing ich wieder an, Englisch zu büffeln. Doch von den geforderten 6,5 Punkten erreichte ich schließlich nur sechs. Und dann hatte ich in Deutschland meine Berufsausbildung nicht abgeschlossen. Erst war ich zehn Jahre als Altenpflegerin tätig, dann gut 13 Jahre Managerin einer Modekette. Und nun schien es an mir zu hängen, dass meine Familie den Neuseelandtraum nicht verwirklichen konnte. Es war schwierig!“
Ein holpriger, riskanter Weg
Um den Kindern ein neues Zuhause zu geben, kauften die Karnapkes ein Grundstück und fingen an, dort ein Haus zu bauen. „Das war natürlich total überstürzt. Wir hatten ja noch nichts in der Hand und es gestaltete sich alles doch komplizierter, als wir es uns vorgestellt hatten.“
Doch die Niederlagen lassen die deutsche Familie noch lange nicht aufgeben. Nachdem wahrlich alle Stricke rissen, schwenkten sie auf Plan B um, die Einwanderung über die Entrepreneur Category. „Um ein marodes Business aufkaufen zu können, was für das Visaverfahren günstig ist, mussten wir unser neues Haus gleich wieder verkaufen. Das war natürlich ziemlich Mist auch wenn das in Neuseeland viel einfacher ist als in Deutschland. Wir hatten schon einen Betrieb im Auge, der uns als tauglich erschien und haben uns letztendlich entschieden, das risikoreiche Unterfangen zu starten. Unser Motel mit Café liegt im Northland bei Kaiwaka am Highway 1. Nun begann für drei Jahre lang das Zittern, ob unsere Einwanderung auf diese Weise klappen kann. Das eine Jahr Urlaub hier war für uns längst passé, wir wollten unbedingt bleiben!“
Peter Hahn half der Familie zunächst mit einem ausgefeilten Business Plan, der für die Einwanderung unabdingbar ist und den entsprechenden Anträgen. „Das ist gar nicht so einfach gewesen, denn dort muss man angeben, welches Einkommen man erwartet, und so weiter. Wir waren ja absolute Neulinge hier. Und wenn wir letztendlich diese selbst gesteckten Erwartungen später nicht erfüllen, schmeißen sie uns ja hochkant wieder aus dem Land nach drei Jahren ‚Bewährungsprobe’.“
Alter Betrieb, neuer Glanz
Die Familie versuchte unterdessen, sich vor Ort zu organisieren. „Früher hieß unser Betrieb einmal ‚German Café’ und gehörte tatsächlich einem deutschen Paar. Danach ging es durch drei weitere Hände und als wir dort einzogen, war es einfach nur ziemlich marode. Es galt also, frischen Wind hinein zu bekommen, sich eine neue, eigene Identität zu schaffen“, erklärt Sandra ihre ersten Schritte. „Stefan fing an, gemeinsam mit einem ‚Builder’ Schränke und Böden zu renovieren. Wir überlegten uns neue Werbefarben, kreierten einen Souvenir-Shop und benannten uns in ‚Coffee Pot’ um. Durch die Lage am Highway gen Norden hatte unsere ‚Gateway North Motor Lodge’ den Vorteil von durchreisenden Linien- und Touristenbussen, den wir unbedingt nutzen und ausbauen wollten.“ Nachdem Sandras Mutter früher eine Gaststätte unterhielt, in der die Deutsche seit sie elf Jahre alt war, mitgeholfen hatte, begann sie nun selbst als Koch im eigenen Café zu arbeiten. „Wir merkten schnell, dass der Gastronomieteil das Steckenpferd des Betriebes war. Der Sommer verlief gut. Mit über acht Linienbussen, die täglich hier stoppten und weiteren vier bis zehn Touristenbussen, die nun regelmäßiger bei uns vor der Türe auf ihrem Weg hoch nach Paiha hielten, lief alles erst einmal super an“, resümiert die Deutsche rückblickend.
Tiefpunkte auf dem Weg zum Ziel
Die Familie ist recht zufrieden, auch wenn beide Elternteile hart und viele Stunden täglich arbeiten müssen. Die Zwillinge und ihre beiden Geschwister haben sich schnell in das neue Umfeld eingefunden, werden in Englisch immer besser. „Sie lernen so unglaublich schnell und wurden überall so nett und offen aufgenommen, es war einfach klasse. Manchmal hatte ich den Eindruck sie konnten besser sprechen als wir“, berichtet Sandra lachend.
Doch alles lief einfach zu perfekt, um wahr zu sein. Nach dem ersten Aufschwung und gemeisterten Hürden, kam die Talfahrt. „Wir mussten aufgrund der Einwanderungsbestimmungen mehr Personal anstellen, als wir eigentlich gebraucht hätten. Und dann kam der Winter…“, seufzt Sandra und erinnert sich an die harte Zeit. „Diese hohe finanzielle Belastung hätte uns beinahe das Genick gebrochen.“
Nach rund sieben Monaten muss die Familie noch einen weiteren Tiefschlag hinnehmen. Nachts wird in ihren Betrieb eingebrochen: „Wir waren alle absolut traumatisiert. Selbst, als wir die Polizei riefen, kam niemand. Wir liegen einfach mitten im Nirgendwo am Highway. Wir konnten das gar nicht fassen.“ Um Kinder und Hab und Gut zu schützen, schafften sich die Karnapkes zwei Wachhunde an, kauften eine Waffe und zogen zunächst mit der Familie nach Mangawhai zurück, wo sie zuvor schon einmal gelebt hatten. „Wir arbeiteten im Hotel, wohnten jedoch für die nächsten sechs Monate nicht mehr dort. Der räumliche Abstand tat gut. Eine Managerin zog damals vorübergehend in die Räumlichkeiten am Motel ein, so dass auch nachts jemand vor Ort war“, berichtet Sandra.
Leben und Lifestyle in Neuseeland
Sozial lebt sich die Familie bestens ein. Die Zwillinge Ben und Zoe waren mittlerweile fünf und kamen in die Schule, ihre große Schwester Rabea war nahezu neun und der kleine Paul ging zum Kindergarten. „Die Kinder haben sich wirklich im Blitztempo integriert. Ben wollte am Anfang, dass alle nun deutsch sprechen, das hat sich aber ganz schnell geändert. Heute vermischen die Kinder beide Sprachen und das Deutsch leidet schon sehr. Sie haben einen richtigen Kiwislang bekommen. In der Schule benehmen sie sich großartig und wir sind wirklich total stolz, wie sie das alle Vier gemeistert haben!“, freut sich Sandra sichtlich zufrieden. Im Winter spielen die Kinder Fußball. Auch die Eltern haben Anschluss gefunden und sich mit zwei anderen Kiwifamilien angefreundet. „Wir verbringen viele Feiertage zusammen, machen gemeinsame BBQs und gehen alle häufig zum Strand. Wir laden uns gegenseitig ein und Geburtstage feiern wir immer als Poolpartys an unserem Pool im Motel. Einmal waren wir auch schon mit dem Campervan in Neuseeland unterwegs, vier Tage auf der Südinsel und zum Kurzbesuch bei Peter Hahn in Wellington, damit wir ihn mal persönlich kennenlernen konnten. Er ist wirklich nett und Neuseeland als Land gefällt uns sehr!“
Im Betrieb übernimmt Stefan sämtliche anfallende Reparaturarbeiten, organisiert das Putzpersonal und kümmert sich als Hausmann um die Kinder. Sandra arbeitet nun im eigenen Betrieb, kocht, bäckt und arbeitet im Büro. „Unser Office ist quasi ein Durchgangsraum zwischen Café und Haus. Das ist natürlich sehr praktisch! Wir haben zehn Angestellte, die müssen auch gemanagt werden, dann die Buchhaltung, es gibt immer Arbeit. Es ist kein einfaches Leben aber ein sehr schönes!“
An die Einwanderung gekoppeltes Business
Mittlerweile haben die Karnapkes ihr Motel und das Café gut im Griff. Im Frühjahr und im Winter ist es zwar entsprechend ruhiger, doch Hochzeiten und Konferenzen füllen die Lücken ein wenig auf. „Wir haben auch eine Milchfabrik in der Nähe und einige temporäre Arbeiter kommen immer mal wieder bei uns unter. Das beste Geschäft macht immer noch das Café. Man muss ganz klar erkennen, unser Business ist keine Holiday-Unterkunft, wir liegen rund 15 Minuten vom Strand entfernt. Aber mit einer Fahrzeit von rund eineinhalb Stunden nördlich von Auckland ist das eine guten Zwischenstoppmöglichkeit.“ Ein Wehmutstropfen sind die Einschränkungen, welche die Familie durch das Einwanderungsprozedere in Kauf nehmen muss. Bei jeder Entscheidung denken sie zuerst an die Immigrationsbehörde. „Ein befreundeter Arzt sagte mir, ich solle unbedingt mal zum Hautarzt gehen, nachdem er bei mir eine Stelle entdeckt hatte, die ihm nicht besonders gefiel. Sollte sich jedoch herausstellen, dass es Hautkrebs ist, könnte das unsere Einwanderung negativ beeinflussen. So etwas gefällt Immigration New Zealandgar nicht. Es könnte ja später hohe Kosten für das öffentliche Gesundheitssystem bedeuten. So gehe ich also erst mal nicht zum Arzt. Seit wir hier sind, war ich auch erst einmal beim Zahnarzt“, gesteht Sandra hinter vorgehaltener Hand. Ähnlich ergeht es der Familie bei Entscheidungen, die ihr Geschäft angehen.
Doch Sandra und Stefan liegen nun in den letzten Zügen, die drei Jahre, welche im Businessplan angesetzt sind, um die eigens gesteckten Ziele und Umsätze zu erreichen, sind nahezu um. „Jetzt geht es wirklich um Alles. Dürfen wir in Neuseeland bleiben oder müssen wir nach alle dem wieder zusammenpacken?“ Sandra hat nichts anderes mehr im Kopf als die Einwanderungspapiere, Steuerunterlagen und Zahlen.
Kiwis für immer
Im März war es dann endlich soweit. Nach drei Jahren mit eigenem Geschäft in Neuseeland und nahezu vier Jahren im Land kam dann endlich die erlösende lang erwartete Nachricht und das Zittern hatte ein Ende: „Jetzt sind wir tatsächlich Kiwis und dürfen für immer bleiben! Unsere Residency ist durch! Ich mag gar nicht daran denken, was wir gemacht hätten, wenn sie uns rausgeschmissen hätten“, bringt Sandra hervor und hat Tränen in den Augen. „Für die Kinder wäre es eine Katastrophe gewesen und für uns finanziell auch. Wir fühlen uns hier einfach wohl, Neuseeland ist jetzt unsere Heimat!“
Ab jetzt können die Karnapkes ihr Leben wieder selbst bestimmtes und auch ihre Businessentscheidungen können sie ganz nach ihren eigenen Wünschen treffen. Die Familie hat zwar noch ein großes Haus in Deutschland aber das ist mittlerweile vermietet. Ihr Lebensmittelpunkt und ihr Glück liegen schon lange in Neuseeland. „Seit wir damals Deutschland verlassen haben, waren wir nie mehr dort. Aus unserem geplanten Einjahresurlaub wurde eine wirkliche Auswanderung. Es war eine harte Zeit aber nun haben wir es geschafft. Ich kann es noch gar nicht glauben! Wir sind einfach überglücklich!“ Nachdem der Bescheid über die geglückte Residency auch per Post eingetroffen ist, umarmen die Eltern Stefan und Sandra ihre vier Kinder und laden ihre Freunde zum ausgiebigen gemeinsamen Feiern ein. Alle freuen sich mit ihnen. Nun sind sie wirklich angekommen.
Der Aufwand und all die Mühen, die Risiken und ein Bangen über eine lange Zeit haben sich gelohnt. Für die Karnapkes war ihre persönliche Auswanderung tatsächlich ‚Neuseeland um jeden Preis’, einen Preis, den sie jederzeit noch einmal bezahlen würden, um glücklich im Land ihrer Träume leben zu können.