Grenzöffnung aber wann – und dann?
Neuseelands Zukunftspläne
In vielen Teilen der Welt entspannt sich die Corona-Lage durch die immer höher werdende Immunisierung zahlreicher Bürger. Einwanderungsinteressierte stellen sich deshalb oftmals die Frage, ob und wann Neuseeland seine Grenzen wieder öffnen wird. Und wie sieht nach der langen Durststrecke dann die angekündigte neue Einwanderungspolitik Aotearoas aus? Experten diskutieren, die Politik hüllt sich in Schweigen. Dennoch kann Peter Hahn durch die stetige Beobachtung der unterschiedlichsten Entwicklungen langsam Prognosen wagen.
Zumachen ist einfach – Aufmachen schwierig
Nach rund 500 Tagen Abgeschiedenheit von der Außenwelt werden nun immer mehr Fragen aufgeworfen, ob und wann Neuseeland seine Grenzen wieder öffnet. Der Wissenschaftler, ehemals politischer Berater, Sir Peter Gluckman erklärte kürzlich: „Zumachen ist einfach, Aufmachen ist schwierig!“ Es bedurfte für die Premierministerin Jacinda Ardern eine beherzte und klare Entscheidung, die Grenzen Neuseelands zu schließen. Doch noch viel schwieriger und wesentlich kritischer ist es nun, alles was man erreicht hat, also die Corona-Freiheit Neuseelands zu riskieren, und die Grenzen einfach wieder aufzumachen. Und wie schnell die heile Welt kippen kann, zeigte kürzlich ein kleiner Corona-Ausbruch in Wellington. „Wir haben ja mittlerweile ein Abkommen mit Australien, so dass Reisende aus dem Nachbarland hier ohne Quarantäne ins Land kommen können“, weiß der langjährige Einwanderungsberater Peter Hahn. „So kam auch ein bereits einfach geimpfter Australier aus Sydney nach Wellington, der später mit Covid19 diagnostiziert worden war. Wir hatten daraufhin einen Level 2 Lock down für einige Zeit. Dennoch zeigt das ganz deutlich, dass trotz invasiver und strenger Quarantäne durch jede Art von Lockerung das Risiko für die Bevölkerung hier steigt“, erklärt Peter Hahn. Der Vorfall ging noch einmal glimpflich aus, es gab keinen Community-Ausbruch, der Mann steckte am Ende nur seine eigene mitreisende Frau an.
Regierung folgt der Wissenschaft
Ganz entscheidend für die weiteren Pläne der Regierung sind, ähnlich wie auch in Deutschland, die Empfehlungen der Wissenschaftler. Der Status Quo zeigt, dass die Bevölkerung momentan noch nahezu gänzlich ungeschützt ist, denn die Impfungen laufen nur ganz langsam an. Rund 1,2 Millionen Kiwis sind bis dato immunisiert, mehr Pfizer-Impfstofflieferungen im Juli, August und September sollen helfen, einen Großteil der Bevölkerung zu schützen. „Das Problem ist eigentlich, dass durch stetige neue Erkenntnisse der Wissenschaftler sich deren Einstellungen ändern. Dazu kommen immer wieder neue Rätsel und ungeklärte Fragen, die zu einer großen Planlosigkeit zu führen scheinen. Von der Politik gibt es keine offiziellen Aussagen, wie es weitergehen kann“, bemängelt Peter Hahn und viele andere Betroffene aus Handel, Industrie und Wissenschaft. „Können auch Geimpfte das Virus weitergeben? Inwieweit hilft welche Impfdosis gegen welche Virus-Mutation? Trotz aller Ungereimtheiten bräuchten wir in Neuseeland langsam einmal eine Art Fahrplan, wie es unter welchen Umständen weitergehen könnte“, fordert nicht nur der Einwanderungsberater. Es gibt kaum eine Basis für Spekulationen oder Hochrechnungen.
Unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Strategien
Sollten die Grenzen Neuseelands wieder für den Tourismus öffnen, bevor ein Großteil der Bevölkerung immunisiert ist, würde das zu einem Leben unter alert level 2,5 führen, prognostiziert Dr. Ashley Bloomfield, General Director of Health. Doch die Industrie drängt, vor Covid spülte der Tourismussektor jährlich 40,9 Milliarden Dollar in die Kassen des Landes. Viele Überlegungen gehen nun in die Richtung, dass nur Geimpfte ins Land kommen dürften, ließ Premierministerin Jacinda Ardern kürzlich in Auckland verlauten. Für den Immunologen und Associate Professor James Ushher von der Otago University ist ganz klar: „Sobald wir die Grenzen öffnen, selbst wenn wir nur Geimpfte hereinlassen, bringen wir Corona ins Land, das ist ganz klar.“ Die Leitung des Immunisation Advisory Centres Dr. Nikki Turner meinte, es wird auch Übertragungen innerhalb von Geimpften, weshalb Neuseeland dann grundsätzlich wesentlich strengere öffentliche Gesundheitsmaßnahmen benötigen werde, wie beispielsweise eine konsequente Maskenpflicht. Die Todesrate in Neuseeland werde trotz aller getroffenen Maßnahmen ansteigen. Auf der anderen Seite erwartet Chris Roberts, Leiter der Tourismus Industrie Aotearoas eine risikobasierte Einstufung bei ersten Grenzöffnungsversuchen: „Es wird keinen magischen Moment geben, wann die Grenze für alle Länder wieder aufmacht. Vermutlich ist es wesentlich sinnvoller, Touristen aus einzelnen Ländern zu präferieren, in denen beispielsweise die Inzidenz niedrig ist.“
Mögliches Öffnungsszenario
„Ich bin mir sicher, dass sich dieses Jahr in punkto Grenzöffnung nichts mehr tun wird“, spekuliert der Neuseeland-Experte Peter Hahn. „Dr. Bloomfield prognostiziert derzeit etwas illusorisch, dass bis Ende Dezember 2021 rund 90 Prozent der Bevölkerung geimpft sein sollen. Und das will man sicherlich abwarten, als zu früh zu öffnen und dann mit den Folgen leben zu müssen.“
Auf der anderen Seite drängt die durchhängende Wirtschaft auf dringende Veränderung. Durch die im April initiierte sogenannte Trans-Tasman-Blase und die im Mai gestartete Cook-Islands-Blase entstand zumindest eine kleine Erleichterung für den Tourismus. Anstelle von nur knapp 12.000 Einreisenden im Januar kamen so knapp 100.000 Reisende im Mai aus den Nachbarländern per Flugzeug nach Neuseeland. Doch viele davon besuchten nur Freunde und Verwandte oder waren Business-Reisende. NZ Maori Tourismus-Sprecherin Kiri Atkinson-Crean erklärte, dass Maori-Tourismus-Betreibende besonders hart betroffen seien und für sie rund 85-95 Prozent Umsatz weggebrochen seien seit der Pandemie.
Zudem orientiert sich die neuseeländische Regierung am Vorgehen des Nachbarlandes Australien. Hier plant man momentan, die Grenzen Mitte 2022 wieder zu öffnen. Ob es in Neuseeland dann ab Januar erste Öffnungen geben wird oder auch erst Mitte des nächsten Jahres bleibt Spekulation. „Ich denke auch, es wird tatsächlich eine stufenweise oder angepasste Grenzöffnung geben, bei der die Einreisenden dann beispielsweise geimpft sein müssen oder je nach Inzidenz im Herkunftsland eingestuft werden. Dann wird es Fälle geben von Personen, die in jedem Fall in zweiwöchige Quarantäne müssen, bei anderen reicht vielleicht eine Selbstisolation. Da wird es die unterschiedlichsten vorgegebenen Szenarien geben, vermute ich.“
Die Zukunft der Migration
Viele sehen mit der Pandemie nun eine gute Möglichkeit, die Einwanderung nach Neuseeland neu zu überdenken und ebenso Gesellschaft und Wirtschaft künftig nachhaltiger zu gestalten. Die Menschen seien jetzt offener gegenüber Veränderungen. Ein Viertel der neuseeländischen Bevölkerung wurde im Ausland geboren, der Weltdurchschnitt liegt bei nur drei Prozent. Andere Stimmen behaupten man wolle mit dem geplanten Immigration-Reset, nur die Probleme bei der Wohnungsnot, mangelnden Infrastruktur und dem Arbeiter-Wohlergehen rechtfertigen. Fakt ist, die meisten Einwanderer kamen bislang als Arbeitskräfte über den Arbeitsmarkt ins Land und nicht über das Schulsystem, wie beispielsweise als Studenten. Dennoch weiß man statistisch sehr wenig darüber, was die Einwanderer tatsächlich für einen Effekt auf die neuseeländische Wirtschaft haben. „Hinzu kommt, wie und mit welchen Faktoren will man den Einfluss messen?“, gibt Peter Hahn zu bedenken. „Das ist eine komplexe Sache, da ist kein Schwarz-Weiß-Denken möglich. Die Aussagen, dass Lower Skilled Migrants den Neuseeländern die Jobs wegnehmen, ist einfach nur populistisch und extrem simplifiziert“, so der Einwanderungsberater.
Einwanderung 2022
In welchem Monat dann auch immer die Grenzen aufmachen, die Einwanderung nach Neuseeland wird aller Wahrscheinlichkeit nach bis dahin neu überdacht. „Ich gehe davon aus und alles, was so durchsickert aus diversen Kanälen, deutet auch darauf hin, dass der Trend eher zu Highly Skilled Migrants gehen wird. Da haben wir Glück, denn die meisten meiner Kunden fallen tatsächlich unter diese Kategorie. Auch Investoren werden weiterhin gern gesehen sein, da könnten sich nur kleine Details verändern, beispielsweise die Kanäle, in denen sie ihr Vermögen anlegen müssen. Das wäre sehr unschön und einschränkend aber ist momentan nur reine Spekulation“, resümiert Peter Hahn. „Ich denke, für Deutsche wird sich bei der Einwanderung nach Neuseeland gar nicht allzu viel ändern.“
Alles in allem werden sich einwanderungswillige Deutsche so keine allzu großen Sorgen machen müssen, dass die Türen für eine Immigration nach Neuseeland künftig generell zugehen. „Allerdings wird sich nach der Grenzöffnung 2022 einiges ändern und es ist mehr denn je sinnvoll dann für jeden eine eigene individuelle Strategie zu entwickeln!“